Stellungnahme zur phil.cologne-Veranstaltung „Retten Veganer die Welt?“ mit Peter Singer am 31.05.2015 in den Balloni Hallen

Wer ist Peter Singer?

Die phil.cologne lädt zu einer Matinee „mit einem der einflussreichsten Philosophen der Welt“ ein. Gemeint ist der 1946 in Australien geborene utilitaristische Philosoph Peter Singer. Singer lehrt seit 1999 an der Princeton University (USA).

Bekannt geworden ist er durch sein 1975 erschienenes Buch Animal Liberation (dt. Animal Liberation. Die Befreiung der Tiere, 1996).

Welche Position vertritt Peter Singer?

Seit Jahrzehnten führen Auftritte von Peter Singer zu Protesten von Menschen mit Behinderung. Für Manche ist Peter Singer eine ” Symbolfigur neuerlicher Euthanasie-Forderungen“. Warum diese Empörung, warum diese Kritik?

In seinem 1979 erschienenen Buch Practical Ethics (dt. Praktische Ethik, 1984) schreibt Singer:

“Angenommen eine Frau, die zwei Kinder geplant hat, hat ein normales und bringt dann ein hämophiles (Hämophilie=Bluterkrankheit) zur Welt. Die Belastung, die dieses Kind bedeutet, mag zwar den Verzicht auf ein drittes Kind unvermeidlich machen; sollte aber das missgebildete Kind sterben, so würde sie noch ein Kind bekommen. Und es ist plausibel, anzunehmen, daß die Aussichten auf ein glückliches Leben für ein normales Kind besser wären als für ein hämophiles. Sofern der Tod eines Säuglings zur Geburt eines anderen Kindes mit besseren Aussichten auf ein glücklicheres Leben führt, dann ist die Gesamtsumme des Glücks größer, wenn der behinderte Säugling getötet wird.”

Gemeinsam mit Helga Kuhse schreibt er im 1985 erschienenen Buch Should the baby live? (dt. Muß dieses Kind am Leben bleiben? Das Problem schwerstgeschädigter Neugeborener, 1993):

„Wir meinen, daß einige Kinder mir schweren Behinderungen getötet werden sollten.“

„Jedes Gemeinwesen kann nur eine begrenzte Anzahl von Menschen verkraften, für die es aufkommen muss. Wenn wir alle Kinder – ungeachtet ihrer künftigen Möglichkeiten – am Leben halten wollen, müssen wir andere Dinge, die wir möglicherweise für ebenso wichtig halten, aufgeben. Da die meisten Gemeinwesen offenbar nicht bereit sind, ausreichend Mittel für die Bedürfnisse ihrer behinderten Mitglieder bereitzustellen, ist das Überleben vieler weiterer schwerstbehinderter Kinder möglicherweise auch nicht im Interesse der behinderten Menschen, die bereits von staatlicher Fürsorge abhängig sind.”

Und in einem 2001 mit dem Spiegel geführten Gespräch („Nicht alles Leben ist heilig“) spricht Singer das „volle Lebensrecht“ Kindern erst 28 Tagen nach der Geburt zu; bis zu diesem Zeitpunkt sollen die Eltern frei entscheiden können, ob sie ihr Kind töten. Und der Staat sei nicht verpflichtet, „Menschen, die auf einem so niedrigen intellektuellen Entwicklungsstand sind, dass sie ihrer selbst nicht bewusst sind“, am Leben zu erhalten.

Mit diesen Argumenten und Forderungen gerät Singer – so Oliver Tolmein – „in vielerlei Hinsicht in bedenkliche Nähe zur ‚Euthanasie‘-Ideologie, die die nationalsozialistische Vernichtungspolitik gegenüber Behinderten möglich gemacht hat.“[1]

Der Historiker Ernst Klee hat auf Parallelen zwischen dem Denken Singers und der Nationalsozialisten hingewiesen. So hieß es schon 1937 in dem SS-Kampfblatt Das Schwarze Korps zum Thema „Gnadentod“:

„Ein idiotisch geborenes Kind hat keinen Persönlichkeitswert […] Das Bewußtsein seines Daseins geht ihm weniger auf als einem Tier.“[2]

Berechtigte und notwendige Proteste

Bei zahlreichen früheren Veranstaltungen kam es daher zu Protesten von Menschen mit Behinderung. So beispielsweise beim Europäischen Symposion „Biotechnik – Ethik – Geistige Behinderung“ der Lebenshilfe im Jahr 1989. Größere Proteste löste 2011 die Verleihung des „Ethik-Preises“ der Giordano-Bruno-Stiftung an Peter Singer aus, der ihm „für seine herausragenden Leistungen als Tierrechtler“ verliehen wurde.

Manche sehen durch diese Proteste die Meinungsfreiheit bedroht, kritisieren sie als Übersensibilität der Betroffenen oder sprechen gar von einem Meinungsterror.

Diese Proteste sind aber eine legitime und notwendige „Notwehraktion von Menschen […], die ihr Lebensrecht nicht öffentlich in Frage gestellt sehen wollen“.[3] Den direkt Betroffenen erscheint jeglicher Diskurs über die Wiedereinführung des Begriffs vom „lebensunwerten Leben“ zu Recht als „Bedrohung ihres Lebensrechtes“.[4]

Jede öffentliche Diskussion sollte Grenzen haben und tatsächlich liegt „die Aberkennung des Rechts auf Leben für eine wie eng auch immer eingegrenzte Gruppe von Menschen […] jenseits dessen, was als akzeptierte Meinung in Deutschland diskutiert werden sollte.“[5]

Gleichzeitig ist es bei einer solchen Diskussion für Menschen mit Behinderung kaum vermeidbar, den Wert ihres Lebens rechtfertigen zu müssen. Dies ist eine unerträgliche Situation.

Wachsam sein, wenn von „lebensunwertem Leben“ die Rede ist.

Zeitgleich zur phil.cologne zeigt der Landschaftverband Rheinland in Köln die Ausstellung „Erfasst, verfolgt, vernichtet. Kranke und behinderte Menschen im Nationalsozialismus“.

Diese Ausstellung erinnert daran, dass Kranke und behinderte Menschen zu den Verfolgten des Nationalsozialismus gehören. „Sie galten“ – so ist es in der Einladung zum Begleitprogramm der Ausstellung nachzulesen – „als Belastung für die deutsche ‚Volksgemeinschaft‘“. In der Folge wurden bis zu 400 000 Menschen gegen ihren Willen sterilisiert, mehr als 200 000 Menschen aus Heil- und Pflegeanstalten ermordet.

Diese Ausstellung sollte uns mahnen, „welche Folgen es hat, wenn Menschen nach ihrem vermeintlichen Nutzen bewertet und behandelt werden.“[6]

Wir kritisieren, dass die phil.cologne Herrn Singer ein Forum bietet, auf dem er möglicherweise erneut seine behinderten- und menschenfeindlichen Thesen vertritt. Es sollte in Köln kein Platz sein, von „lebensunwertem Leben“ zu reden. Jedem Versuch, die Euthanasie zu legitimieren, muss entschieden widersprochen werden.

 Dr. Günter Bell, Behindertenbeauftragter der Stadt Köln – AWO Kreisverband Köln e.V. – Dr. Norbert Böttges, Deutscher Schwerhörigenbund Köln e.V. – Caritasverband für die Stadt Köln e.V. – Uta Grimbach-Schmalfuß, Sozialverband Deutschland e.V. (SoVD), Köln – Paul Intveen, Mitglied der Stadtarbeitsgemeinschaft Behindertenpolitik – Annette Kellinghaus-Klingberg, Mitglied im Beirat für Inklusion der Stadt Köln – Kompetenzzentrum Selbstbestimmt Leben. RheinlandBärbel von der Linde, Deutsches Rotes Kreuz, Köln – Silke Mertesacker, Lebenshilfe KölnDer Paritätische, Kreisgruppe Köln – Barbara Röttger-Schulz, Mitglied der Stadtarbeitsgemeinschaft Behindertenpolitik – Wolfgang Schmidt, Diakonie Michaelshoven e.V. Alexander Sperling, Synagogen-Gemeinde Köln – Matthias Toetz, Lebenshilfe Köln – Prof. Dr. Anne Waldschmidt, Internationale Forschungsstelle Disability Studies, Universität zu Köln – Zentrum für selbstbestimmtes Leben (ZsL)

Köln, 08. Mai 2015

[1] Oliver Tolmein: Wann ist der Mensch ein Mensch? Ethik auf Abwegen, München/Wien, 1993.

[2] Ernst Klee: Von Menschen und Tieren. Eine Kritik der praktischen Ethik, in: DIE ZEIT, Nr. 27/1989.

[3] Franz Christoph: (K)ein Diskurs über „lebensunwertes Leben“!, in: Der Spiegel, Nr. 23/1989

[4] Franz Christoph: (K)ein Diskurs über „lebensunwertes Leben“!, in: Der Spiegel, Nr. 23/1989.

[5] Oliver Tolmein: Wann ist der Mensch ein Mensch? Ethik auf Abwegen, München/Wien, 1993.

[6] Jürgen Wilhelm, Ulrike Lubek, Jürgen Roters und Gertrud Servos im Vorwort zum Begleitprogramm der Ausstellung „Erfasst, verfolgt, vernichtet. Kranke und behinderte Menschen im Nationalsozialismus“, Köln 2015.